DIE VERKAPPTE PROGNOSE 2010 EINES SPITZENBANKIERS
„Vor einem Jahr der Entscheidungen“
Mit den NACHTRÄGEN 1 bis 3 vom Samstag, dem 12.12.2009
Wie das Zitat im Titel lautet auch der Titel des achtseitigen Anlagekommentars Nr. 267 vom 7. Dezember 2009, wie immer brillant verfasst von Privatbanquier Dr. Konrad Hummler (Jahrgang 1953), unbeschränkt haftender Teilhaber des St. Galler Bankhauses Wegelin & Co.
Hummler befasst sich zunächst mit den gegenwärtig äusserst relevanten Fragen nach Aufschwung, Inflation, Goldpreisentwicklung und Arbeitslosenquote. Er kommt dabei aufgrund der höchst widersprüchlichen Vorgaben zu dem ebenso überraschenden wie erschreckenden Ergebnis, dass es derzeit „nicht möglich“ sei, „aufgrund einer konsistenten Analyse zu eindeutigen Schlüssen [zu] gelangen.“ Mit anderen Worten: Es lässt sich nicht einmal in gröbster Weise eine einigermassen verlässliche Vorhersage über die unmittelbar bevorstehenden Entwicklungen machen. Das führt Hummler darauf zurück, dass die üblichen Methoden und die verwendeten Formeln, die den bisherigen Analysen zugrunde lagen, heute nichts mehr taugen. Deshalb folgt bei ihm die bange Frage: „Wenn die gängigen Modelle unbrauchbar sind, was soll dann an ihre Stelle treten?“
Die Antwort, die Hummler darauf gibt, hat wohl niemand von diesem äusserst intelligenten und gewieften Geschäftsmann und Spitzenbankier erwartet:
„Deduktives Denken, Logik allein genügt vermutlich nicht. Vielmehr gilt es das zu tun, was die Menschheit eigentlich schon immer gemacht hat, was aber durch Déscartes und die Aufklärung immer mehr in den Hintergrund gerückt ist: Man muss Geschichten erzählen und weiterspinnen. Die vielen Mythen und Sagen, die heiligen Bücher, die Märchen der Gebrüder Grimm und aus Tausend-und-einer-Nacht: Auch aus ihnen, nicht nur vom logischen Ableiten her, ist der Stoff, aus dem wir die Zukunft, ihre Chancen und Risiken, zu einer für uns vorstellbaren Zeit herleiten können.
Das mag gefährlich esoterisch tönen, ist es aber nicht. Denn wenn das Versagen der streng rationalen Methoden derart eklatant ist, wie es die Finanzkrise bewiesen hat, dann ist jegliche Überheblichkeit gegenüber vielleicht weniger wissenschaftlich aussehenden Methoden fehl am Platz … Wohlan, erfinden wir Geschichten!“
Dann macht Hummler ernst und erfindet drei „Geschichten“, die er als „Szenario“ I bis III bezeichnet. Diese seien hier kurz in zusammengefasster Weise zitiert:
Szenario I: „Im grossen und ganzen … ändert sich, … am Grundgefüge der Wirtschaft wenig, was bedeutet, dass ab etwa 2010, auf tieferem Niveau zwar, unvermindert weitergearbeitet werden kann … Auch die Rollen zwischen den einzelnen Wirtschaftsblöcken verändern sich nur unmerklich und ohne zusätzliche reale Krisenerscheinungen. Zwar wird in der Tendenz der amerikanische Konsument weniger wichtig werden, ist aber als Bezüger von Waren aus Fernost nach wie vor die dominante Kraft … Für inflationären Druck reicht die Wirtschaftsentwicklung auf diesem tieferen Umsatzniveau und angesichts der Produktivitätssteigerungen aber nicht aus. Im Gegenteil, auf der Welt sind nach wie vor riesige Überkapazitäten vorhanden, die jedem ernsthaften Preisdruck nach oben vorzeitig ein Ende bereiten … Das bedeutet denn auch, dass die Notenbanken die Zinsen weiterhin und für längere Zeit tief halten können … Bei diesem ‚Normalszenario’ handelt es sich um eine Fortschreibung der Entwicklung von 2009 in eine etwas bessere Zukunft hinein.“
Um es vorwegzunehmen: Hummler hält später fest, dass unsere Gedanken, vor die Wahl gestellt („Welche Geschichte ist Ihnen am liebsten?“), „fast zwangsläufig beim ‚Normalszenario’ (enden), … obwohl wir wissen, dass es so nicht stattfinden wird.“ Realistisch betrachtet verbleibt also nur die Wahl zwischen Szenario II und III. Diese werden Sie nun mit anderen Augen lesen.
Szenario II: „Der steigende Goldpreis und die im Zuge der Dubai-Krise in die Höhe geschnellten Kreditrisikoprämien für Staatshaushalte sind die ersten Anzeichen einer unaufhaltsamen Spirale, die im Abgrund des Untergangs der westlichen Industrienationen, … in verschärftem Protektionismus, ja, in der Neigung zu Enteignungen und zur Gewalt endet. ‚Abyssus ruber’, der rote Abgrund. Hervorgerufen durch die eklatante Zunahme der ohnehin schon zuvor fast hoffnungslos hohen Verschuldung der USA, Japans, Grossbritanniens, Deutschlands und anderer europäischer Länder im Zuge der Finanzkrise … An einem bestimmten Punkt der Währungserosion und unter dem Eindruck eines Crashs an den Obligationenmärkten – man akzeptiert weltweit die Bonität von Staatsschulden nicht mehr – müssen die Amerikaner zur absoluten Unzeit die Zinsen erhöhen. Derweil wird die Welt von der konjunkturellen Entwicklung herb enttäuscht. Was man als Stabilisierung auf tiefem Niveau bezeichnet hat, entpuppt sich lediglich als Plateau vor einem nächsten Abgrund … Der US-Immobilienmarkt stürzt um weitere 20 Prozent ab, GM muss seine Produktion definitiv einstellen … Der Leuchtturm des Jahres 2009, die Volksrepublik China, erlebt 2010 eine der gefährlichsten innenpolitischen Krisen. Durch das Versiegen amerikanischer Importe müssen wesentliche arbeitsintensive Betriebe stillgelegt werden; es gelingt nicht, die Heerscharen von Arbeiterinnen und Arbeitern in andern Teilen Chinas zu absorbieren … Und so weiter … Aber Hand aufs Herz: Ist das alles und noch viel Schlimmeres denn wirklich auszuschliessen? … Die Weltgeschichte ist voll von eigentlich nur irrationalen Vorgängen.“
Szenario III: „Für diese Geschichte knüpfen wir wiederum beim gestiegenen Goldpreis an. Dessen Preisanstieg rührt von heimlichen, doch stetigen Goldkäufen der Zentralbanken Chinas und Indiens her, die das Übermass an Währungsreserven in Dollar zu diversifizieren trachten, doch nicht nur das, die vielmehr die Lancierung einer asiatischen Alternative zur bisher monopolistischen Reservewährung US-Dollar vorbereiten. Die Unterlegung einer solchen Währung mit möglichst viel Gold ist das eine, die Vorbereitung eines Marktes für chinesische Treasury-Bills über den Finanzplatz Hong Kong das andere … Derweil erfreuen sich die wesentlichen Länder des Osten eines robusten Aufschwungs … Europa und die USA haben mit einem konjunkturellen ‚Double-Dip’ zu kämpfen. 2010 bricht die Wirtschaft ein zweites Mal ein, weil die Benachteiligung der westlichen Industrienationen wegen der hohen Staatsverschuldung und den überschuldeten Sozialsystemen nun offenkundig wird … Der Stern des amerikanischen Präsidenten ist längst verblasst …“.
Mein Kommentar: Soweit die drei von Hummler „erfundenen“ Szenarien. Das Szenario II scheidet meines Erachtens aus, da China die drohende Massenarbeitslosigkeit in seinen Industrien dadurch auffangen kann, dass es seine Landbevölkerung, die wohl immer noch gegen 70 Prozent des 1,3-Milliarden-Landes umfasst, konsummässig in derselben Weise aktiviert, wie dies bei der raschen Schaffung eines breiten Mittelstandes der Fall war: Konsumkredit, Autokredit, Hypothekarkredit. ERGEBNIS: Man kann sich des Verdachtes nicht erwehren, dass Konrad Hummler die zwei ersten Szenarien und die Vorgeschichte dazu nur deshalb „erfunden“ und aufgeführt hat, damit er das einzige, das auch er selbst als höchstwahrscheinlich ansieht, nämlich Szenario III, unangreifbar publizieren kann. Dieser Prognose für 2010 schliesse ich mich vollumfänglich an, da sie im Wesentlichen auch die Aussagen enthält, die ich bereits vor zwei Jahren prognostiziert habe.
HINWEIS FÜR DEN LESER: Sie können den vollständigen Anlagekommentar Nr. 267 von Dr. Konrad Hummler über das Internet abrufen: Googeln Sie „Wegelin Anlagekommentar“ und klicken Sie dann dort auf „Druckversion DE“.
1. NACHTRAG vom Samstag, 12.12.2009
Der oben besprochene Anlagekommentar Nr. 267 von Privatbanquier Dr. Konrad Hummler datiert vom Montag, dem 7.12.2009. Fünf Tage später doppelt der Journalist Gerhard Schwarz, Leiter des Ressorts Wirtschaft und Börse der NZZ, nach mit einem halbseitigen Beitrag in der Samstagausgabe der NZZ vom 12.12.2009 (Meinung & Debatte, Seite 25). In diesem Artikel, der nicht als NZZ-eigener Beitrag gekennzeichnet ist, finden sich nahezu alle Aussagen wieder aus dem Anlagekommentar von Hummler, am deutlichsten aber wird das beim Bezug auf Benoît Mandelbaum und Nassim Taleb. Kein Wunder, denn der Banquier (NZZ-Schreibweise für Hummlers Beruf) ist ja zugleich auch Verwaltungsratsmitglied der AG für die "Neue Zürcher Zeitung".
Auch Gerhard Schwarz sieht schwarz für die Zukunft der westlichen Industrienationen, wie einige Zitate belegen:
>> "Fast überall ist nur noch von Aufschwung die Rede ... Dieses Sichklammern an die Signale der Besserung ist verständlich, ... ist aber auch gefährlich. Illusionen führen leicht zu Übermut, sicher aber zu wirtschaftspolitischem Fehlverhalten."
>> "Die schweizerischen Währungshüter signalisieren klar, dass die Geldpolitik nicht unbegrenzt so locker weitergeführt werden kann, ohne dass Inflationsrisiken eingegangen würden. Etwas verkürzt heisst dies, dass die Zukunft entweder höhere Zinsen bringt oder Inflation. Das Straffen der geldpolitischen Zügel müsste angesichts der langen Vorlaufzeiten monetärer Massnahmen schon bald erfolgen, und es wäre langfristig die einzig richtige Politik. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Druck der Regierungen eher in Richtung Inflationierung laufen wird ...".
>> "Doch diese konjunkturellen Unsicherheiten und Risiken werden bei weitem überschattet von den strukturellen. Im Zentrum steht hier die Verschuldung der Staaten. Griechenland und Dubai sind bei weitem nicht die einzigen Problemherde - und sicher nicht die grössten. Rund um die Welt haben die Regierungen die Krise mit exorbitanten Staatsausgaben bekämpft ... In Japan, den USA und selbst in Deutschland wird die Schuldenquote 2010 vermutlich höher zu liegen kommen als 1950 ... Wenn die Zinsen steigen, wird der Schuldendienst schnell einmal nicht mehr tragbar."
>> "Vieles wird unter Druck kommen, staatliche Ausgaben aller Art, Renten und Sozialleistungen, Wachstum und Wohlstand ... Die reichen Volkswirtschaften sind auf dem besten Weg, mit zu viel Liquidität, vor allem aber mit einer beispiellosen Verschuldungspolitik die Grundlagen für die nächste Blase und für die nächste Krise zu legen."
2. NACHTRAG vom Samstag, 12.12.2009
In meinem obigen Kommentar zu den drei Szenarien Hummlers vertrete ich die Überzeugung, dass China in der Lage ist, seine bevorstehenden Exportprobleme (Szenario II) dadurch aufzufangen, dass seine Landbevölkerung konsummässig aktiviert wird. Im Beitrag "China weiterhin auf dem Wachstumspfad" in der NZZ vom 12.12.2009 wird möglicherweise die gegenteilige Ansicht vertreten: "Die Dynamik bleibt industriell und staatlich getrieben, eine Neuorientierung des Wachstums auf eine erstarkende inländische Konsumnachfrage ist nicht absehbar." Vermutlich bezieht sich dies aber nur auf den chinesischen Mittelstand, der vorwiegend in den Städten anzutreffen ist und zahlenmässig etwa der Bevölkerung der EU oder der der USA entspricht. So oder so, auf alle Fälle halte ich meine Ansicht aufrecht.
3. NACHTRAG vom Samstag, 12.12.2009
In einem viertelseitigen Beitrag in der NZZ zum schweizerischen Aktienmarkt findet sich ein Schlussabschnitt mit dem Titel "Neue Runde der Finanzkrise" mit folgendem Inhalt:
"Die Aktien von Banken waren nicht nur in Europa, sondern teilweise auch in den USA unter Druck. Ursache ist eine möglicherweise neue Runde in der Finanzkrise. Derzeit gerät die wacklige Bonität von immer mehr Staaten in den Fokus der Investoren. Nach dem Debakel um Dubai ... sorgen sich die Anleger nun um die Zahlungsfähigkeit von Griechenland. Der Ausblick für das 'AA+'-Rating von Spanien wurde diese Woche ebenfalls von einer Rating-Agentur auf 'negativ' gesetzt. Auch die Finanzlage in Italien ist schon lange nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Inzwischen diskutieren die Rating-Agenturen sogar offen darüber, inwieweit die USA und Grossbritannien ihr erstklassiges 'AAA'-Rating mittelfristig noch werde halten können. Im Gegensatz zu Ländern wie die Schweiz oder Deutschland gelten die Ratings der beiden Staaten nicht mehr als unantastbar."
Mein Kommentar: Auch die "Unantastbarkeit" der Schweiz und Deutschlands wird noch auf eine harte Probe gestellt und das in nicht allzu ferner Zukunft.